Motoren-Prüfer warnen vor reinem Elektro-Fokus

„Verbrenner bauen dann andere für uns“: Motoren-Experten warnen vor reinem Elektro-Fokus

KST
FOCUS Online, 28.06.2021, Gastautor: Jens Meiners

Die Experten von KST prüfen und beurteilen für eine Vielzahl von Herstellern Elektro- und Verbrennungsmotoren sowie Hybrid- und Wasserstoff-Antriebe. Was denken die Antriebs-Experten zur Elektro-Diskussion?

Als Dienstleister der Automobilindustrie hat sich KST Motorenversuch über Jahrzehnte hinweg einen hervorragenden Ruf erarbeitet. Die Experten prüfen und bewerten für eine Vielzahl von Herstellern Elektro- und Verbrennungsmotoren sowie Hybrid- und Wasserstoff-Antriebe. Die Diskussion um den Antrieb der Zukunft betrifft die Firma unmittelbar.

Wissenschaftler fordern korrekte CO2-Berechnung

Jetzt sind durch einen offenen Brief von Wissenschaftlern an die EU-Kommission Zweifel an den CO2-Emissionen von Elektro-Antrieben aufgekommen: Der Zusatzbedarf führe zu einem sehr viel höheren CO2-Ausstoß als bisher angenommen.  Wir haben mit KST-Chef Professor Gerhard Reiff über das Thema und die Zukunft verschiedener Antriebsarten gesprochen.

GT Spirit: Professor Reiff, ist an den Berechnungen von Prof. Koch etwas dran und könnten sie zu einer Neubewertung von Elektro-Antrieben führen?

Gerhard Reiff: Es sieht so aus, und es ist auch nachvollziehbar, dass wir für den Betrieb der Elektroautos kurz- und mittelfristig nicht in dem geplanten Maße auf grünen Strom zurückgreifen können. Und ein batterieelektrisches Fahrzeug (BEV), das mit einem großem Anteil an Kohlestrom betrieben wird, hat eine schlechtere CO2-Bilanz als ein moderner Verbrenner, insbesondere ein Diesel.


Der Elektroantrieb macht in bestimmten Marktsegmenten absolut Sinn, aber womöglich muss der eine oder andere heute sehr offensiv beschrittene Transformationsweg noch einmal neu bewertet werden.

Sehen Sie beim Verbrenner überhaupt noch Potential für nennenswerte Fortschritte?

Natürlich ist dort noch Potential und vieles ist auch schon in Vorbereitung. Es ist politisch im Moment nur schwierig, überhaupt das Wort „Verbrenner“ in den Mund zu nehmen. Was mir dabei Sorgen bereitet, ist die Konsequenz aus diesem schlechten Image für unseren Nachwuchs. Die Studiengänge leiden dramatisch unter Studentenschwund. Das wiederum heißt, die Kompetenz beim Verbrenner könnte sich in relativ kurzer Zeit von selbst erledigt haben. Verbrenner bauen andere für uns.

„Beim E-Auto stehen wir, wo wir beim Verbrenner in den 1950er Jahren waren“

Wie sieht es beim E-Antrieb aus – rechnen Sie dort mit technologischen Durchbrüchen bei Akkus und Motoren?

Unabhängig von zukünftigen chemischen Veränderungen in der Zelle selbst gibt es bei der heutigen Technologie noch viel Effizienz- und Lebensdauerpotenzial vor allem im Thermomanagement und dem Zusammenspiel zwischen Motor, Inverter und Batterie. Grundsätzlich sehen wir, dass wir beim BEV am Anfang einer langen anwendungsgerechten technologischen Entwicklung stehen. Wir stehen dort, wo wir beim Verbrenner in den 50iger-Jahren des 20. Jahrhunderts standen. Es ist also noch viel zu tun.

Welche Lösungen bieten sich aus Ihrer Sicht an, um den CO2-Ausstoß möglichst rasch und nachhaltig zu verringern?

Eigentlich eine ganz einfache Rechnung. In Deutschland haben wir aktuell einen CO2-Ausstoß durch den Verkehr von ca. 150 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr. Wenn wir zügig 30% des Sprits auf C02-neutralen synthetischen Kraftstoff umstellen würden, hätten wir in 2030 eine Reduktion von ca. 50 Mio. Tonnen.


Dafür benötigen wir aber ein Bekenntnis zu diesen Kraftstoffen, eine Anrechnung im Flottenverbrauch und eine Perspektive von 20 bis 30 Jahren für Investoren, damit ein Anreiz zum Bau der entsprechenden Anlagen entsteht.

Wie ernst sind die Ankündigungen zu nehmen, Verbrennungsmotoren in den nächsten Jahren komplett einzustellen?

Ich denke, diese Entscheidung treffen nicht die Hersteller, sondern die Kunden in den verschiedenen Marktregionen, und ich bin sehr gespannt darauf, wieviel Geschäft sich die Autohersteller entgehen lassen wollen. Ich hoffe, es setzt sich doch noch die Erkenntnis durch, dass wir zukünftig mehrere zielgerichtete Antriebstechnologien haben werden. Und der effiziente Verbrennungsmotor, betrieben mit synthetischen Kraftstoffen oder Wasserstoff, ist eine Alternative. Mit einem durchaus erträglichen Wirkungsgrad, wenn wir die Umweltbilanz der gesamten Produktions- und Zulieferkette fair bewerten.   FOCUS Online Nachrichten
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